Workshopleiter Jiri Jung hat gleich eine knifflige Aufgabe für die Spieler der U16 Mannschaften: Max, der seit langer Zeit bei seinem Verein kickt, hat ein Angebot vom FC Bayern. Sein bester Freund hat während einer langen Verletzungspause immer zu ihm gehalten und ist trotz eines guten Angebots im selben Verein geblieben. Jetzt stehen wichtige Spiele an, aber Max hat Angst sich erneut zu verletzen und seine Zukunft bei den Bayern zu verspielen. Er täuscht eine Verletzung vor, fliegt auf und wird vom Verein suspendiert.
In kleinen Gruppen machen sich die Jungs Gedanken, wie sie das Verhalten von Max, aber auch vom Verein, Trainer und seinem besten Freund bewerten. Die meisten können Max verstehen, dass er seinen Traum von der Bayern-Karriere auf keinen Fall gefährden will. Aber „hätte er es von Anfang an offen kommuniziert, wäre es vielleicht besser gewesen“ findet Fabian. Richtig oder falsch gibt es nicht, so ist die Geschichte auch angelegt. Jiri Jung, der Trainermentor bei Anpfiff ins Leben ist, geht es vielmehr darum, dass es verschiedene Sichtweisen gibt und man daher immer auch die andere Seite sehen sollte. „Am besten man fragt nach, warum jemand das so gemacht hat.“
„Perspektivwechsel“ gibt es an allen Anpfiff ins Leben-Jugendförderzentren
Der „Perspektivwechsel“ ist Teil der 360°-Bildungsreihe von Anpfiff ins Leben und findet jedes Jahr für die U16-Mannschaften an allen Jugendförderzentren statt. Je nachdem, wo er den Workshop hält, erzählt Jiri, fällt das Urteil über Max ganz unterschiedlich aus: In kleineren Vereinen, wo der Teamgedanke über allem steht, ist das Verständnis weniger groß als in Vereinen, wo die Spieler selbst von einer Profikarriere träumen und nachvollziehen können, dass man alles tut, wenn der FC Bayern ruft.
„Demokratie heißt, die Mehrheit entscheidet sich und dann ist alles gut. Ist es aber nicht“, sagt der Coach. „Denn es gibt halt Leute, die eine andere Meinung haben.“ Wichtig ist ihm, dass derjenige das sagen kann und die anderen zuhören. „Es gehört dazu, Kompromisse zu finden“, betont Jiri Jung. Außerdem sieht man oft nicht alles, sagt er und erklärt das „Eisberg-Modell“ – auch hier ist der überwiegende Teil unter Wasser und damit nicht zu sehen. „Vielleicht seid ihr mal schlecht drauf und macht ein grobes Foul. Da könnte der Trainer sagen, ‚Du spielst nicht mehr‘. Das tut er ab er nicht!“, so der Coach. Denn ein guter Trainer würde nachfragen, was los ist und man würde gemeinsam eine Lösung suchen.
Ob Beziehung, Schule, Job oder Freizeit – Perspektivwechsel sind immer hilfreich
Aber nicht nur im Fußball gibt es Situationen, die man als Betroffener ganz anders sieht. Darum geht es in der nächsten Aufgabe. Die Gruppen sollen sich zwei Situationen aus dem Alltag und zwei aus dem Fußball überlegen, bei denen ein Perspektivwechsel hilfreich sein könnte. „Bei Beziehungsproblemen sollte man sich in die Lage des Partners oder der Partnerin versetzen und entschlüsseln, was das Problem ist“, meint die Gruppe von Fabian. „Und bei Bewerbungsgesprächen sollte man sich vorher fragen, ‚was will der Arbeitgeber von mir hören?‘“. Das Beispiel gefällt dem Coach: „Nach 16 Workshops ist es das erste Mal, dass das genannt wird. Dabei ist es ganz wichtig.“
Die Gruppe von Kyrill hat sich in den Trainer hineinversetzt, der unbequeme Auswechslungen vornehmen muss. Doch trotz allem Verständnis, dass der Trainer nicht allen Spielern Spielzeit geben kann, „wenn es ein wichtiges Spiel ist und man verliert, dann muss man sauer sein, wenn man ausgewechselt wird“, sagt Kyrill. Bei Schiedsrichter-Entscheidungen, so die Gruppe, sollte man in Betracht ziehen, dass derjenige die Situation vielleicht einfach nicht sehen konnte, weil er woanders stand oder jemand die Sicht versperrt hat. Hier hat Jiri Jung gleich noch einen Tipp an die Trainer für den Perspektivwechsel am eigenen Leib: „Lasst mal denjenigen, der am lautesten schimpft, ein Trainingsspiel selber pfeifen“.