„Das Fitnesstraining der Bewegungsförderung für Amputierte hat mir sehr geholfen, jetzt bin ich wieder beschwerdefrei“, sagt Kenny.

Kenny Behnke-Gapp:Sportlich. Rockig. Bunt

Blondes lockiges Haar, betonte Katzenaugen – Kenny Behnke-Gapp fällt auf. Die 47jährige ist Frontfrau einer Heavy-Metal-Band. Das ist die wilde Seite von Kenny, die als Dolmetscherin für Englisch, Italienisch und Niederländisch gearbeitet hat. Der Gegenpol dazu ist ihre Begeisterung für das Schreiben von Briefen. Auf schönem Papier, mit der Hand – und in alle Welt.

Die Leidenschaft für das Briefeschreiben hat Kenny, die wegen einer Depression und Angststörungen nicht mehr arbeiten kann, bis auf die Philippinen geführt. Im Jahr 2012 besucht sie eine ihrer Brieffreundinnen in Manila. Auf einem Schrank in dem Zimmer, in dem sie übernachtet, liegt ein Koffer mit Büchern. Er fällt beim Öffnen der Tür herunter, und auf den linken Unterarm von Kenny. Das tut weh, und es bildet sich ein Bluterguss.

„Keine große Sache dachte ich“ erzählt Kenny und ergänzt „ und kein Grund, in Manila zum Arzt zu gehen“. Zwei Tage später klappt sie zusammen. Als sie wieder zu sich kommt, ist sie in einer Klinik und auf dem direkten Weg in den Operationssaal. Es hat sich ein Kompartment-Syndrom gebildet, und ihr linker Unterarm muss schnellstens amputiert werden um ihr Leben zu retten.


Da ihr Mann oft beruflich unterwegs ist, setzt sie alles daran, direkt wieder alleine zurechtzukommen. Egal ob es um die alltäglichen Dinge geht oder um die pelzigen Mitbewohner, drei Chinchillas. Sie brauchen Futter und ihre Käfige müssen täglich gereinigt werden. Weil die Käfige dazu auseinandergenommen und wieder zusammengesetzt werden müssen, bittet Kenny eine Freundin, zu kommen und dabei zu sein, als sie das zum ersten Mal macht. Helfen soll sie nur, wenn Kenny um Hilfe bittet. Nicht nötig - es geht langsam, aber es geht. Ihre Freundin spielt mit den kuscheligen Pelztierchen, während Kenny die Käfige auseinander- und dann wieder zusammenmontiert.

Kenny ist Frontfrau bei "Sinful Touch"

Kenny schminkt sich nach wie vor perfekt, ihre Katzenaugen sind in verschiedenen Blautönen und mit Eyeliner betont. „Nicht mal auf dem Operationstisch“, verrät Kenny, „habe ich mich abschminken lassen“. Sie hat darauf bestanden, dass das Make-Up drauf bleiben kann.

Kenny muss akzeptieren, dass alles langsamer geht. Sie schüttelt ihre Locken und lacht:

„Anfangs bin ich zu jeder Verabredung zu spät gekommen.“ Kenny besitzt eine Armprothese, benutzt diese aber nur sehr selten. „Sie ist zu umständlich in der Bedienung, manchmal eher hinderlich“.

Sportlich unterwegs mit dem Fahrrad

Für ihre Bandkollegen  von „Sinful Touch“ ist die Amputation kein Thema. Warum auch? Seit 2007 ist Kenny dort Sängerin und hat nichts von ihrem Feuer und schon gar nicht ihre Stimme verloren.

Kenny bleibt auch hartnäckig, als ein Ekzem ihre rechte Hand befällt. Sie kann über Monate nur zwei Finger benutzen. Erst eine homöopathische Behandlung bringt Heilung. Kenny schaut auf ihre Hand mit den lackierten Fingernägeln. „Ich habe im Krankenhaus gefragt, was mit meinem amputierten Arm passiert ist.“ Die Tatsache, dass er auf einem katholischen Friedhof in Manila begraben liegt, kommentiert die überzeugte Atheistin mit der lakonischen Feststellung: „Mein armes Pfötchen!

Sportlich war Kenny schon immer. Sie schwimmt leidenschaftlich gerne im Meer und in Seen. Im Sommer vergeht kein Tag, an dem sie nicht eine Stunde schwimmen geht. Im Winter macht sie nach wie vor Langlauf.

Als sie Knieprobleme bekommt nimmt sie am Fitnesstraining von der „Bewegungsförderung für Amputierte“ von Anpfiff ins Leben e.V. in Walldorf teil. „Das hat gut geholfen, jetzt bin ich wieder beschwerdefrei“, sagt Kenny. Auch beim Klettern ist sie dabei.

Kenny hadert nicht mit ihrem Schicksal. Sie ist mit der Amputation vollkommen autonom. Sie sagt augenzwinkernd: „Vielleicht haben mir die Pillen gegen meine Depression dabei geholfen, die Amputation so schnell zu akzeptieren.“ Was auch immer dazu beigetragen hat – Kenny strahlt eine Lebensfreude aus, die ansteckend ist.

Verfasserin: Stephanie Riechwald, Juni 2016